In meiner Praxis für Lifecoaching und Trauma- & Stresstherapie ist die Thematik Verlust- und Bindungsangst ein sehr häufiger Grund, warum die Klienten mit mir Kontakt aufnehmen. Es beeinträchtigt ihr Leben stark und nicht nur das Eigene – oftmals sitzen die Partner/innen oder nähere Beziehungen in der gleichen «Falle», obwohl es sie nur indirekt betrifft.
Ein Beispiel aus meiner Praxis:
Angelika hatte, wann ihr Partner nicht pünktlich von der Arbeit oder Ausgang nach Hause kam, Panikanfälle und stand die ganze Zeit unter enormer Anspannung. Ihre Präsenz war ständig auf ihren Partner und seinen Lebensstil gerichtet und es hat sich über die Monate eingeschlichen, dass sie ihn kontrollierte. Wo ist er genau, warum kommt er wirklich später – stimmen die Geschichten «ich stehe im Stau» oder «ich hatte noch ein Meeting»? Eine eigene Freizeit Planung war so kaum mehr denkbar. Angelikas Vertrauen in die Beziehung war kaum vorhanden. Die Situation warf sie komplett aus den Bahnen, als ihr Partner für seinen Auftraggeber ins Ausland musste – wenn auch nur 1 Woche. Angelika fiel in eine grosse Leere und Traurigkeit – alles machte keinen Sinn mehr. Das war der definitive Auslöser, dass sie erkannte, da stimmt irgendwas nicht, so will sie nicht weiterleben – es war unerträglich.
Angelika hat mit mir Kontakt aufgenommen und um therapeutische Unterstützung gebeten.
Was ist hier passiert? Warum hat Angelika ihr Leben so an den Partner angepasst, misstraut ständig und bekommt kaum Luft, wenn er sich etwas verspätet oder seine Pläne spontan anders aussehen?
Angst
Angst ist ein Grundgefühl und gehört zur menschlichen Existenz. Angst hat seinen Ursprung oft in einer unbestimmten Bedrohung und wird häufig mit diffusen oder realen Vorstellungen verknüpft, was alles passieren könnte. Grundsätzlich ist Angst etwas Gutes. Sie warnt uns vor Gefahren und lässt uns in bestimmten Situationen vorsichtig werden. Wissenschaftler vermuten, dass der Mensch nicht nur ab dem Zeitpunkt seiner Geburt mit Ängsten konfrontiert ist, sondern bereits weit vorher. Manche Ängste tauchen in unterschiedlicher Ausprägung bei allen Kindern auf. Dazu gehört zum Beispiel Angst vor Dunkelheit, Alleinsein oder lauten Geräuschen. Auch die Trennungs- oder Verlustangst ist normal – bis zu einem gewissen Grad.
Verlustangst ist ein Phänomen, das jedem bekannt ist, manchen jedoch etwas stärker und beunruhigender als anderen. Sie kann sich in ganz verschiedenen Facetten zeigen – eine der häufigsten ist wohl die Verlustangst in Beziehungen, also die Angst den Partner zu verlieren, aber auch Angst um die Familie, den Job und selbst materielle Dinge können Facetten der Verlustangst sein.
Bindungsangst und Verlustangst gehören unmittelbar zusammen: Um Verlustangst zu entwickeln, muss man zunächst Bindung kennen -und verloren haben. Eine Bindung an einen anderen Menschen bedeutet immer auch das Risiko, den Verlust desselben zu erfahren. Bei manchen Menschen führen Verlusterfahrungen (meist in der Kindheit) zu einer solchen inneren Leere oder Schmerzen, dass sie nicht mehr bereit sind, durch das Eingehen von Bindungen weitere Verluste zu riskieren. Bindung lässt sich verstehen als ein Lernprozess, gegenüber einem anderen Menschen Vertrauen aufzubauen. Dieses Vertrauen ist die Grundlage, um eine dauerhafte Beziehung mit wechselseitiger Verantwortung auf freiwilliger Basis aufrechtzuerhalten.
Wie wird Verlustangst erlebt?
Oft drückt sich Verlustangst durch Eifersucht aus, hat also mit einem labilen Selbstwertgefühl zu tun. Beziehungen sind zunehmend geprägt von Rückzug, Vermeidung, Blockaden oder Kontrolle. Viele Menschen sind so sehr verunsichert, dass sie ihr Grundbedürfnis nach Nähe, Berührung und Intimität lieber auslagern, damit sie es kontrollieren können.
Die erste Bindung zwischen Mutter und Kind dient als Modell für die spätere Entwicklung. Gelingt diese Beziehung nicht oder kommt es zu einer für das Kind schmerzhaften Trennung, entsteht eine Angst vor Abhängigkeit und damit vor Nähe und Bindung. Die Verlustangst ist dann besonders stark, wenn sie die Folge eines Traumas von frühen Trennungen ist, tritt also typischer Weise nach frühen Verlusterfahrungen als Kind auf, sei es die Trennung der Eltern, die Vernachlässigung durch ein oder beide Elternteile oder sogar Todesfälle.
Eine wichtige Erkenntnis: Fehlender Blickkontakt kann bei Babys Trennungsangst auslösen
Ein Baby hält sich für einen Teil seiner Mutter. Beginnt er zu begreifen, dass er unabhängig von ihr existiert, macht diese Erkenntnis erst einmal unsicher. Das Baby wird extrem anhänglich, beginnt zu weinen, wenn es die Mutter nicht mehr sieht. Schließlich weiß das Kind nicht, ob die Bezugsperson wiederkommen wird. „Kinder erleben das ‚Verschwinden‘ der Bezugsperson kognitiv als realen Verlust, das heißt, sie müssen erst lernen, dass diese Person nicht auf Dauer verloren ist. Es genügt schon der Verlust des Blickkontaktes, um Angst auszulösen. Wiederholte Trennung von der Bindungsperson belasten jedes Kind emotional. jedes Baby muss erst lernen, Vertrauen zu entwickeln.
Menschen, die aufgrund dieser Erfahrungen auch im späteren Leben starke Verlustängste haben, können schlecht mit sich allein sein und richten ihr Verhalten und ihre Gedanken übermäßig danach aus, einen anderen Menschen, einen Job, etc. nicht verlieren zu wollen. Die Folgen hiervon sind meist das zu starke Klammern, ganz unabhängig davon ob diese dem Menschen guttut oder nicht.
Ängste nie herunterspielen
Ein Kind, das Angst hat, braucht vor allem Verständnis. Es auszulachen, anzuschreien oder gar in die angstauslösende Situation „hineinzuwerfen“ und sich zum Beispiel einfach davonzuschleichen, wenn das Kind unter Trennungsangst leidet, bringt höchstens eine massive Verstärkung der Furcht. Man muss das Kind und seine Angst ernst nehmen, kann es aber langsam an eine neue Situation gewöhnen. Das Ziel dabei ist nicht, das Kind „angstfrei“ zu machen, sondern ihm beizubringen, dass Ängste etwas völlig Normales sind.
Symptome & Folgen von Verlustangst
Verlustängste zeigen sich in einem übermäßigen Klammern an – oft eigentlich unkontrollierbaren – Dingen, sei es am Partner, an Freunden, an materiellen Dingen oder an einem Job. Viele Menschen lassen sich so auch ausnutzen und bleiben in schmerzhaften Beziehungen, nur um den Verlust zu vermeiden. Für gewisse Menschen mit Verlustangst stellen diese eine existenzielle Bedrohung dar. Während andere Verlust oft mit „normaler“ Trauer bearbeiten können und das Ende einer Beziehung oder Freundschaft nicht langfristig persönlich nehmen, reagieren Menschen mit Verlustangst sehr stark, häufig mit Paniksymptomen, Antriebslosigkeit, tiefe Trauer, Hilflosigkeit, Gefühl von Sinnlosigkeit, grosse innere Einsamkeit, negatives Selbstbild oder einer Depression.
Verlustängste können sich auch in einem Kontrollzwang äußern. Aus übermäßiger Angst etwas zu verlieren, versuchen Menschen mit Verlustangst die Dinge so gut wie möglich zu kontrollieren und auf keinen Fall «loszulassen». Dass das enorm anstrengend und eine grosse Belastung im Alltag einnimmt ist verständlich. Ein weiteres Symptom von Verlustangst ist das Vermeiden von Bindung um eben diesem Risiko einen anderen zu verlieren von vornherein aus dem Weg zu gehen. Menschen mit Bindungsangst und Verlustangst tun sich daher oft schwer eine nahe Beziehung zu anderen Menschen überhaupt einzugehen.
Mögliche erkennbare Verhaltensmuster: (nur ein Teil davon)
Sicherheitsbedürfnis
Das Gegenüber soll ständig „Sicherheit“ vermittelt, durch z.B. übermäßige Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Liebesbezeugungen und -beweise, Treueschwüre und ähnliches. Das führt schnell zu einem einengten Gefühl für den Partner und bewirkt genau das Gegenteil.
Überhäufung von Liebesbeweisen
Geschenke, Gefallen, Überraschungen, hohe Leistungsbereitschaft, totale Aufmerksamkeit etc. – ständig alles recht machen und den Partner mit «Liebesbeweisen» überhäufen – das führt wiederum zu einem erdrückenden, nervenden Gefühl.
grosse Eifersucht und Misstrauen
Aus lauter Angst, dass der Partner jemand anderen attraktiver finden könnte, plagt die Eifersucht und ein Kontrollverhalten stellt sich ein. Natürlich will das kein Partner aushalten und es stellt sich eine ablehnende, distanzierte Haltung ein.
Die Verlustangst, die auf den Partner projiziert wird, hat nichts mit ihm/ihr und schon gar nichts mit Liebe zu tun, sondern mit einem kindlichen Trauma. Es werden im gemeinsamen Alltag immer wieder die stark geprägten Erlebnisse an getriggert – was aber mit dem jetzigen Leben nichts zu tun hat. Das Gehirn kann in der aktuellen Stresssituation den Unterschied nicht erkennen.
Verlustangst – was tun?
Die als Kind gemachten Erfahrungen sitzen sehr tief, das bedeutet jedoch nicht, dass gegen Verlustängste nichts getan werden kann. Betroffene können lernen mit der Verlustangst umzugehen – insofern sie sie erst einmal erkannt haben.
Die Steigerung des Selbstwerts und des Selbstvertrauens, aus eigener Kraft handlungsfähig und liebenswert zu sein, ist eine wichtige Voraussetzung, mit der Verlustangst umzugehen und sie hinter sich zu lassen. Dazu kann gehören, das eigene Verhalten zu hinterfragen, neue Verhaltensweisen zu üben, einen stärkenden Freundeskreis oder soziales Umfeld aufzubauen, um insgesamt selbstbewusster und damit unabhängiger vom Partner zu werden.
Manchem Klienten hilft es bereits zu verstehen, dass die Verlustangst sich ursprünglich auf eine frühkindliche Erfahrung bezieht, in der er sich damals als handlungsunfähig und ausgeliefert empfunden hat. Betrachtet er dann aktuelle Situationen aus diesem Blickwinkel heraus, wird möglicherweise schon klar, dass die Angst hier und heute eigentlich ganz unbegründet ist und es viele andere mögliche Erklärungen für das mit eigenen Zweifeln und Ängsten belegte Verhalten des Partners gibt.
Achtsamkeit im Alltag ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Diese Achtsamkeit in den eigenen Gedanken, das bewusste Umstrukturieren der Muster, ist zwar anstrengend am Anfang, sorgt aber langfristig dafür, dass destruktive Gedankenmuster durch neue konstruktive Muster ersetzt werden.
Zurück zu Angelika und ihre «Geschichte»:
Nach einem ausführlichen Coaching Gespräch, erkannte Angelika, dass ihre Kindheit und die Trennung ihrer Eltern einen entscheidenden Einfluss auf ihre Verlustängste hatte.
Mit der Trauma- Therapie und systemischer Aufstellungsarbeit lernte Angelika einen bewussteren Umgang mit ihren Ängsten zu bekommen. Sie verstand woher ihre Ängste den Ursprung hatten und dass sie sich aus «falscher» Sicherheit an ihr Partner geklammert hat. Ihr Unbewusstsein hatte die Prägungen der Verluste aus der Kindheit ständig angetriggert.
Sie hat erfolgreich den Leidensdruck vermindert und fühlt sich heute frei und eigenständig. Die Beziehung hat eine komplett andere, vertrauensvolle Qualität gewonnen und auch ihr Partner hat in einem Paarcoaching verstanden, warum die Liebe nicht frei fliessen konnte. Angelika ist heute mit einer hohen Achtsamkeit sich selber gegenüber unterwegs.
Verlust- oder Bindungsängste müssen nicht sein – sei es dir wert deine Prägungen, Schicksale oder Traumas aufzuarbeiten und das eigene Selbstbild zu verbessern. Es wird dich befreien und eine wunderbare Lebensqualität (zurück) geben.
Madelaine Zurfluh