Markus, Klient 39 Jahre wirkt verspannt – das kann ich gut verstehen, beim ersten Coaching Kontakt ist unklar, was da kommt und was es auslösen wird. Er erklärt mir, dass er innerlich ständig extrem unruhig ist, ein schlechtes Immunsystem hat und zu chronischer Verspannung neigt. Nach weiterem Gespräch frage ich ihn: «wirst du nie wütend? So richtig wütend?» Erschrocken schaut er mich an und meint: «nein!» Sein Blick neigt sich verlegen zum Boden und es scheint als würde er sich am liebsten unsichtbar machen. Schnell wird klar, Wut ist hier sehr negativ und schwer abgespeichert. Es wird ersichtlich, dass Markus seit Kindheit ganz viel unterdrückte Wut in sich trägt und zu depressiven Phasen neigt. Er leidet sehr an seinen blockierten und traurigen Gefühlen. Zudem ist er oft schlaflos und sehr gestresst. Eigene Grenzen setzen fällt ihm äusserst schwer. Woher kommt das? – es wird im weiteren Gespräch ersichtlich, dass ein dominanter, aggressiver Vater sein Leben begleitet hat.

Negative Emotionen, wie Wut und Ärger gibt es seit Beginn der menschlichen Existenz und begleitet uns fast täglich. Jedoch sind dies Eigenschaften des Menschen, die in der Gesellschaft kein gutes Image haben. Sobald auch nur ein Funke von Wut aufkommt, wird dieser weggedrückt und heruntergeschluckt. Man will die Wut am liebsten möglichst schnell loswerden. Viele Menschen fressen sie wortwörtlich in sich hinein. Dabei kann sich unterdrückte Wut negativ auf die psychische Gesundheit auswirken. Generell üben unterdrückte Gefühle grosse Macht auf unseren Körper aus.

Woher kommt den eigentlich die Wut?

Warum unterdrücken wir negative Gefühle? Wenn man Wut verstehen möchte, sollte man auch den Ort betrachten, an dem die Emotion entsteht: unser Gehirn.  Es handelt sich um den evolutionär alten Bereich unseres Gehirns, dem limbischen System. Dieses besitzt, ungefähr auf Schläfenhöhe, eine Ansammlung von Nervenzellkörpern – die Amygdala. Verknüpft mit der Großhirnrinde, ist die Amygdala verantwortlich für eine große Bandbreite an Emotionen. Sie gilt als Schaltzentrale für die Gefühle Angst und Wut und verarbeitet in deren Kontext Reizinformationen von Augen und Ohren. Passiert dies, setzt sie die hemmende Großhirnrinde außer Kraft und sendet über den Hypothalamus Warnsignale an den gesamten Körper. Zwar schickt der Hypothalamus auch Warnsignale an die kontrollierende Großhirnrinde zurück, jedoch deutlich langsamer als das limbische System. So entsteht eine unkontrollierte Wut, bevor wir nach einiger Zeit wieder mehr an Kontrolle gewinnen.

Lässt der Mensch seiner Wut freien Lauf, so setzt er Energie frei. Die Gesichtsmimik verändert sich. Atem- und Pulsfrequenz steigen an, ebenso wie der Blutdruck. Die Muskeln spannen sich an, Blutgefäße verengen sich. Die sachlichen Argumente werden ausblendet.

Aufgrund dieser gesellschaftlich negativ bewerteten Verhaltensweisen sind Menschen selten dazu bereit, zu ihrer Wut zu stehen oder darüber zu sprechen. Dabei wollen die wütenden Gefühle in ausgelebt werden. Es lindert Angst und setzt kraftvolle Energien frei. Somit bewirkt Wut, in kontrollierter Form, gar etwas Positives und ist für unser Körper wichtig.

Wenn wir wütend sind, schieben wir oft die Ursache auf das Verhalten anderer. Mein Partner ist schuld, dass ich verärgert bin, da er das Bad wieder nicht aufgeräumt hat. Die Kinder streiten wieder und das macht mich sehr wütend. Oder die Arbeitskollegen gehen zu früh in den Feierabend und ich darf die restliche Arbeit selber erledigen – das macht mich stinksauer. Es ist wichtig zu erkennen, dass das Verhalten anderer nicht verantwortlich ist für unsere Gefühle. Es liegt in der Bewertung des Verhaltens meines Gegenübers – vielleicht empfinde ich das als rücksichtslos, faul, undiszipliniert oder unfair. Die Wut hat einen Auslöser, aber der Auslöser ist nicht die Ursache. Was genau fehlt mir dabei? Was hat das mit meinen ganz eigenen Bedürfnissen zu tun? Welche werden dabei nicht erfüllt um uns dabei besser zu fühlen? Zusätzlich gilt es zu erwähnen, dass ein gleicher Auslöser unter anderen Bedingungen manchmal ganz andere Emotionen erzeugt.

Warum unterdrücken wir Wut?

Über Emotionen zu sprechen ist ein wichtiger Lernprozess in der Kindheit. Oft verlernt das Kind in diesem Entwicklungsstadium, darüber zu sprechen. Viele Eltern verzweifeln heute, wenn ihr Kind wütend wird. Besonders in der Öffentlichkeit wird sofort etwas unternommen, um dieses Gefühl wegzuschieben.  Jedoch will das Kind dem Gefühl der Wut einfach nur einen bedingungslosen Ausdruck geben. Es will das Gefühl einfach leben.

Auch unser Umfeld spielt in der Kindheit eine entscheidende Rolle und zeigt anhand von Reaktionen wie Schimpfen oder Ermahnungen, dass es besser sein kann, Gefühle zu unterdrücken. Oftmals hat es auch in einem Schulsystem kein Platz für den Ausdruck von Wut. Dies setzt sich im Bewusstsein fest. Als Erwachsener befürchten wir, für ihre negativen Gefühle schwach oder unkontrolliert abgestempelt zu werden.

Jedoch sind all die wütenden Gefühle keineswegs verschwunden, nur weil sie nicht offen gezeigt werden. Den meisten Menschen sieht man ihre Wut nicht an, denn sie verstecken sie hinter einer höflichen und professionellen Fassade. Ärger und Wut zu unterdrücken kostet den Körper ganz viel Energie und staut sich innerlich immer mehr an. Auf lange Sicht machen unterdrückte Gefühle krank. Das Immunsystem wird schwächer, wir werden anfälliger für Infekte und lösen grossen körperlichen und psychischen Stress aus.

Hinter der Wut steckt oftmals ein weiteres Gefühl, sei es Angst, Trauer oder Scham. Vielleicht auch die Angst die Kontrolle zu verlieren oder die Sorge Jemand anders zu verletzen. Sich dessen bewusst zu werden, was einem hindert daran den Wut Keim zu unterdrücken oder zu ersticken ist eine wichtige Reflexion. Zu erkennen warum man sich selbst vernachlässigt, sich unterordnet oder sich am liebsten gar nicht spüren will. Die Wut ist ein Signal, um sich für sich selbst einzusetzen.

Wut hat immer mit dem Selbstwert zu tun

Wut zeigt jedem Menschen auf, dass in der Situation oder im persönlich Erlebten etwas nicht stimmt. Wut hat immer etwas mit dem Selbstwert zu tun. Allein sich Ablehnung vorzustellen, reicht schon aus, die Emotion zu triggern. Sehr oft fehlt genau dann die Kommunikation für sich einzustehen und seine eigenen Grenzen zu setzen. Oftmals passt man sich, aus fehlendem Selbstwert an und stellt seine eigenen Wünsche und Meinungen in den Hintergrund. Ein Ohnmachtsgefühl, Blockade, Opferhaltung oder bis zur Depression sind die Folgen und bewirken eine Unfähigkeit in die Handlung zu kommen. Doch wer seine Grenzen nicht zeigt, kann nicht damit rechnen, dass der Andere automatisch Rücksicht nimmt. Wenn wir bereit sind, statt die Wut auf unerfüllte Bedürfnisse und Verletzungen offenzulegen, ist die Chance um einiges grösser, dass der andere hört, was wirklich der Grund des Ärgers ist. Damit gehen wir konstruktiv mit dem Ärger um und dürfen die unterschwellige Wut in Selbstfürsorge und Achtsamkeit umwandeln. Aus Distanz, Enttäuschung, Hilflosigkeit und gegenseitiger Anschuldigung entsteht ein bereicherndes Miteinander.

Es braucht vielleicht etwas Mut die Verantwortung für seine Wut und die Gefühle zu übernehmen, jedoch bereichert es die Beziehung zum Mitmenschen und man lernt sich auf einer anderen Ebene viel tiefer kennen und vertrauen.

Wie komme ich da raus?

Wir können lernen, mit unseren Gefühlen umzugehen – vor allem negative Emotionen zuzulassen. Unterdrückung ist kein Lösungsweg. Wut hat nichts damit zu tun, jemand verletzen oder demütigen zu müssen. Auch Schreien ist keine Selbstbehauptung, sondern man verliert die Glaubwürdigkeit.

Wut ist Energie! Die Kraft der Wut zu nutzen, um für sich selber eine Grenze zu setzen, und deutlich zu machen, bis hierher und nicht weiter ist zu lernen und eine ganz andere Energie. Das kann man ganz höflich und klar machen. Somit akzeptieren wir unseren Zorn, es ist ein Teil von uns.

Um im Moment des Wutanfalles in die Kraft und Klarheit zu kommen, gibt es verschiedene Optionen.

Zum Beispiel:

  • Turnschuhe anziehen und eine Runde laufen
  • an der frischen Luft spazieren gehen
  • aufschreiben «was macht mich jetzt gerade so wütend»?
  • tief durchatmen und die Energie im ganzen Körper fühlen
  • den Körper abklopfen und spüren wie es sich anfühlt
  • diese heftigen Gefühle bewusst wahrnehmen und im Körper fühlen
  • passende, aktive (Kampf-) Sportart regelmässig ausüben
  • auf ein Kissen oder Boxsack reinhauen und die körperliche Wut rauslassen
  • nach Möglichkeit nochmals eine Nacht darüber schlafen
  • Meditationen oder Achtsamkeitskurse

Wichtig ist, frühzeitig zu spüren, Signale aufkommender Wut zu erkennen und rechtzeitig andere Entscheidungen zu treffen. Zu wissen, was tut dir gut damit die Wut nicht unterdrückt wird oder total unkontrolliert ausbricht. Wut ist wichtig um aktive Veränderungen vorzunehmen und gehört zum Leben. Nicht ausgelebte Wut richtet sich zum Schluss immer gegen sich selbst! 

Als Erwachsener haben wir die Möglichkeit uns anders zu entscheiden und hinter die Fassaden unserer (unterdrückten) Wutgefühle zu schauen. In diesem Sinne denken wir daran; die Funktion, der Sinn von Wutgefühlen, ist die Veränderung. Ohne Wutgefühle keine Veränderung. Ohne Ärger kein Wandel.

Herzlich,

Madelaine Zurfluh