Bedrückt erzählt mir Manuel S., dass es ihm beruflich wie privat so schwer falle ein klares «Nein» auszusprechen. «Es stört mich jedoch zunehmend, dass ich immer nachgebe, warum mache ich das?» fragt mich Manuel. «Oft fühle ich mich nämlich ausgenutzt. Wahrscheinlich sollte ich für die Zukunft etwas ändern.» Nachdenklich fügt er an: «Ist es egoistisch, wenn ich «Nein» sage, und für meine eigenen Bedürfnisse und Wünsche einstehe?» «Diese sind schließlich genauso wichtig, wie die der Anderen, oder?»

Wie Manuel S. geht es vielen Menschen. Wer «zu nett» ist, wehrt sich nicht, wenn sich beim Lift anstehen in der Warteschlange jemand vordrängt. Es fällt ihm schwer, im Café zu rekla­mieren, wenn der Kaffee bitter ist. Oder der Chef schon jede Menge Aufgaben erteilt hat und die Kollegin auch noch um Unterstützung bittet, obwohl es kaum zu bewältigen ist. Fast überall gibt es ihn – den hilfsbereiten und durch und durch netten Kollegen(in), der(die) niemals „Nein“ sagen kann.

Anderen Menschen einen Wunsch oder eine Bitte abzuschlagen ist schwer. Wer „nein“ sagt, setzt anderen Grenzen. Wenn man Angst vor Konflikten oder Zurück-weisung hat, schreckt man davor zurück.

Was passiert, wenn ich «Nein» sage?

Eigentlich habe ich keine Lust, aber …“ oder „Ich konnte einfach nicht Nein sagen“. Aber warum eigentlich nicht? Warum sagen wir so häufig Ja, wenn wir eigentlich Nein sagen möchten – und ärgern uns dann im Nachhinein über uns selbst?

Wir haben Angst vor den negativen Konsequenzen. Der andere könnte uns böse sein, gekränkt sein oder wütend reagieren. Um die Bindung zum anderen zu halten, sagen wir nicht nein. Auch die Überzeugung, es stehe uns nicht zu, an uns zu denken, kann uns an einem Nein hindern.

Wer ständig Ja sagt, wird merken, wie kräftezehrend es ist. Vor allem in bereits bestehenden Belastungssituationen. Denn unsere innere Stärke und Energie müssen wir dann für die Bedürfnisse anderer nutzen. Wenn wir uns zu den eigenen Belastungen auch die Probleme anderer auflasten, bedeutet dies, dass die eigenen Bedürfnisse dabei zunehmend auf der Strecke bleiben.

Tatsächlich leidet das Selbstbewusstsein, wenn man zu oft nachgibt und spürt, dass einem immer wieder die Kraft für ein deutliches Nein fehlt.

 

Einige Gründe, die uns davon abhalten ein klares «Nein» zu kommunizieren:

  • Angst, jemanden zu enttäuschen, die Erwartungen nahestehender Personen nicht zu erfüllen, Gefühle zu verletzen
  • Abgelehnt werden ist ein bekanntes Gefühl und wir wollen den anderen Menschen dies nicht antun
  • Wir scheuen uns vor Konflikten und weichen ihnen aus 
  • Wir haben ein starkes Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung durch den Anderen
  • Die Angst Sympathien zu verlieren oder nicht mehr geliebt zu werden
  • Grosse Sensibilität der Betroffenen wird oft übersehen – sie sind besonders emphatisch und spüren die Wünsche Anderer
  • Gewohnt die Erwartungen anderer zu erfüllen
  • In der Kindheit gelernt, dass ein Nein einen Kontaktabbruch oder Liebesentzug zur Folge hat
  • Verinnerlichte Glaubenssätze «sei brav und höflich»
  • Ein geringes Selbstwertgefühl wird durch das Annehmen sämtlicher Anfragen kompensiert
  • Schuldgefühle blockieren
  • Helfersyndrom geben einem das Gefühl «gebraucht zu werden»
  • Falsches Gefühl von Verantwortung
  • Man möchte nichts verpassen oder als Langweiler gelten

 

Rücksichtslos? Egoistisch?

Ein einmaliges Nein macht uns noch lange nicht zu einem rücksichtslosen Menschen. Vielmehr ist es ein Zeichen für ein gesundes Selbstwertgefühl. Wir verschaffen uns Respekt und pflegen eine Beziehung, in der das Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen ausgeglichen ist.

 

Die Angst vor dem Beziehungsabbruch

Bereits als Kleinkinder suchen wir auf unterschiedlichen Wegen nach Bestätigung und Liebe unserer Eltern. Dabei lernen wir schnell, welche Zuneigung wir erhalten, wenn wir lieb und freundlich sind und stets ja sagen, obwohl wir nein meinen. „Sei ein braves Mädchen“ oder “Ärgere die Mama nicht und sei ein guter Junge“ sind Sätze, welche die meisten Menschen kennen. Möglicherweise war es damals die beste Taktik, durchs Leben zu kommen.

 

Schuldgefühle – Nein sagen ohne negative Konsequenzen

Egal, wie oft Sie das Nein sagen üben oder wie oft Sie sich klar machen, dass Sie bereits ausgelastet sind, letztendlich bleibt fast immer ein Schuldgefühl zurück, wenn Sie ein ernst gemeintes Nein aussprechen. Denn irgendwo im Hinterkopf stellt eine leise Stimme immer die Frage: „Ist es nicht viel zu egoistisch, einfach Nein zu sagen?“

 Tatsächlich lässt sich diese Frage sowohl mit einem „Ja“ als auch mit einem „Nein“ beantworten, denn einerseits ist es natürlich «egoistisch», die Anfragen abzulehnen.

Es ist wichtig die eigenen Grenzen zu kennen und diese auch zu setzen: „Bis hierhin und nicht weiter!“ Das ist ihre persönliche und eigene Entscheidung. Das Motiv muss deswegen nicht egoistisch sein, sondern gilt auch als ihr Selbstschutz. Gerade im beruflichen Kontext entsteht ein Teufelskreis, der sich immer weiter hochschaukelt und letztendlich in massivem Stress oder sogar Burnout endet.

 

Gesunder Egoismus als Selbstfürsorge

Das beste Mittel gegen ein halbherziges Ja, ist ein «Nein» aus ganzer Überzeugung.

Wichtig ist es auch, dabei ernst zu bleiben und eine klare Formulierung aussprechen; nur wer ernst und ganz klar kommuniziert, wird auch ernst genommen.

 

  • Nicht mehr Ja sagen, obwohl man nein meint
  • Funktionieren ist keine Option mehr
  • Sich nicht mehr für alle und alles verantwortlich fühlen
  • Klare Haltung einnehmen
  • Selbstfürsorge an erster Stelle setzen
  • Eigene Grenzen anerkennen und klar kommunizieren

 

Die eigenen Denkmuster durchbrechen

Selbstverständlich geht es nicht darum, jede Bitte abzulehnen und ständig Nein zu sagen. Überlegen sie jedoch immer, was in der aktuellen Situation sinnvoll wäre – und dann gegebenenfalls ablehnen. Dies ist weder egoistisch noch unkollegial, wenn sie einfach mal Nein sagen. Tauchen unangenehme Schuldgefühle auf, so versuchen sie sich selbst mit den entsprechenden Argumenten zu überzeugen.

 

Das Nein sagen ist eine schwierige aber gerade deshalb die liebevollste Antwort. Es erfordert am Meisten Charakter, Engagement, Ehrlichkeit und Mut. Und die Fähigkeit «Nein» auszusprechen ist der erste Schritt in die eigene Freiheit.

 

Wenn sie selbst überzeugt sind, dass sie «Nein» sagen dürfen, können sie auch selbstbewusst Anfragen ablehnen und aus dem Teufelskreis ausbrechen

Es ist ein sehr schöner und sozialer Wesenszug anderen Menschen zu helfen. Jedoch viel wichtiger ist, ihre eigenen Grenzen zu kennen und das eigene Wohlbefinden an erster Stelle zu setzen. So werden sie langfristig nicht nur im beruflichen, sondern auch im privaten Bereich entspannt und erfolgreich sein.

 

Was denken sie zu dem Thema? Sind sie selbst eher ein „Ja-“ oder „Nein-Sager“? Welche Konsequenzen haben sie damit im Job oder Privat getragen?

 

Gerne lese ich eure Kommentare zu diesem Thema.

 

Herzlich, Madelaine Zurfluh