Dein Kampf gegen dich selbst!
Die Welt der Gefühle und warum du die Verbindung zu dir verlierst.
Unterdrückst du deine Gefühle, beginnst du, die Verbindung zu dir selbst zu verlieren. Irgendwann bleibt nur noch Leere, ein ohnmächtiges Gefühl. Du läufst ständig vor dir und deinem Leben davon und bist im Kampf gegen dich selbst.
Maria, eine äusserlich aufgestellte, offene 50-jährige Klientin, beschreibt mir ihre Lebenssituation mit den Worten „auf der Suche nach Leben“ – alles fühlt sich so leer, sinnlos, freudlos und mit tausend Fragezeichen an. Ihr Gesichtsausdruck verändert sich, und ihre überspielte Fröhlichkeit bricht in sich zusammen, Tränen füllen ihre Augen.
Ich bin dankbar, dass sie diese Gefühle zulassen kann und sie unbewusst Vertrauen zu mir gefasst hat. Sie hat erkannt, dass ich ihren Schmerz mitfühlen kann und es mich nicht überfordert. Ich nehme sie an, wie sie ist, verspreche keine Wunder, gebe ihr aber Hoffnung, sie in dieser hilflosen Situation ein Stück zu begleiten und im Prozess aus der Verbindungslosigkeit zu finden. Warum dieser Halt für sie so zentral ist, erfährt ihr später in diesem Blogbeitrag.
Wir können Gefühle nicht selektiv unterdrücken. Unterdrücken wir Wut, Angst, Ohnmacht, Trauer oder Wertlosigkeit, ist es nicht möglich, gleichzeitig Liebe und Freude zuzulassen. Das funktioniert nicht. Aber warum nicht?
Das Nervensystem ist der Teil des menschlichen Organismus, der der Reizwahrnehmung, der Reizverarbeitung und der Reaktionssteuerung dient. Es bildet den Regelkreis des Verhaltens auf äussere und innere Reize und besteht morphologisch aus vernetzten Nervenzellen, den Neuronen, sowie aus Gliazellen. Unterdrücken wir nun dauerhaft diese Reize, ist das Nervensystem unter Dauerstress. Es muss ständig aktiv sein, um die Situation zu bewältigen und auszugleichen. Es ist ausdauernd im ständigen Kampf- und Fluchtmodus und versucht alles unter Kontrolle zu halten. Funktioniert das nicht mehr, bricht das System zusammen und wir ziehen uns sozial komplett zurück.
Du hast die Verbindung zu dir selbst ganz verloren, fühlst dich einsam, verloren und depressive Verstimmungen nehmen die Überhand. Du fühlst dich sehr erschöpft und ausgelaugt – verständlich bei diesem langen, inneren Kampf ständig gegen das eigene Fühlen. In dieser Verbindungslosigkeit können wir nur schwer echte Lebensfreude und Liebe fühlen. Es ist, als wären alle emotionalen Leitungen gekappt oder abgewürgt.
Nun sitzt du da, getrennt von deinen emotionalen Verletzungen. Sie sind fein säuberlich verpackt in einer Kiste – weit hinten im Schrank versteckt. Den Schlüssel zur Kiste hast du vergraben, damit meinst du, du musst diese Emotionen nie mehr fühlen und du bist der Überzeugung, alles unter Kontrolle zu haben. Du willst dich nicht mehr mit dem befassen, was alles in der Kiste verpackt ist – Angst, Unsicherheit, Wut, Scham, Wertlosigkeit, gekränkte Emotionen – ich verstehe das, aber es ist kein echter Ausweg aus deiner Ohnmacht und deiner Leere.
Der Teufelskreis läuft in die falsche Richtung und diese Abwärtsspirale lässt dich immer weiter von deinem Urvertrauen und deinem authentischen Sein entfernen. Ob wir wollen oder nicht, unsere Gefühle sind ein existenzieller Teil der Verbindung von Körper, Geist und Seele. Drängen wir einen Teil weg, sind wir nicht komplett und nicht in unserer Kraft.
Was sind die Auslöser, dass wir Gefühle aus unserem Leben verdrängen?
Ein zentrales Thema in unserer bisherigen und noch heutigen Generation. Noch immer hinken wir im Bewusstsein der Wichtigkeit sämtlicher gefühlten Emotionen hinterher. Lange wurden Gefühle als etwas Hinderliches, als Bremsklotz, Scham und als nicht richtig definiert. Frauen wie Männer haben zu funktionieren, schwach will niemand sein. Ein fataler Fehler und ein Missverständnis, das uns zutiefst schadet. Verdrängt wurde, dass genau dieses Fühlen und annehmen aller Gefühle, das Potenzial, die Lebenskraft und das Selbstbewusstsein massiv beeinflusst. Dieses Verhalten beruht auf einem unbewussten Vorgang, der unserem Selbstschutz dient(e).
Tauchen wir ein und ich frage dich:
- Was ist mit dir passiert, als du als Kind verletzt wurdest?
- Was willst du im tiefsten Inneren nicht fühlen?
Erinnere dich einen Moment zurück, bevor du weiterliest.
Wie war der Umgang mit deinen Tränen oder deiner Wut? Wurdest du liebevoll aufgefangen? Fühltest du dich sicher und geliebt? Oder wurdest du ignoriert? Abgelehnt? Bloßgestellt oder kritisiert? Genervte und gereizte Reaktion? Oder waren die Erwachsenen schlichtweg überfordert, weil sie selbst nie den Umgang mit ihren Emotionen gelernt haben?
Was hatte das für dich für Konsequenzen?
Aus Sicht deines kleinen, inneren Kindes bedeutet dies, die Gefahr von Verlust und Existenz – ein Ohnmachtsgefühl, das so schnell wie möglich aufgehoben und korrigiert werden muss. Du versuchst alles, um diesen tiefen Verletzungen aus dem Weg zu gehen und dich den funktionierenden Umständen anzupassen. Deine Ohnmacht, Trauer, Ängste oder inneren Stress verpackst du in deine Kiste – und immer wieder drückst du den Deckel zu, damit ja nichts nach aussen dringt. Damit spaltest du deine Emotionen ab, verlässt deine Herzstimme, entfernst dich von dir selbst. Dein Selbstwert, dein Urvertrauen, dein Eintreten für dich selbst sowie deinen äusseren Ausdruck verlieren ihre Kraft. Dass dieses Verhalten Konsequenzen hat, ist nicht überraschend und ist unglaublich anstrengend und auslaugend. Bildlich gesehen steckt ein Teil von dir in dieser Kiste und du hast den Zugriff aus Selbstschutz verwehrt.
Wenn wundert es da, dass dich irgendwann eine Sinnlosigkeit und Leere einholt? Dass du kraft- und energielos bist? Dass du dein Potenzial und deine Bedürfnisse nicht lebst? Durch diese Strategien hast du dir unbewusst grossen Schaden zugefügt.
Zurück zu Maria
Nachdem ich Maria diese Zusammenhänge erklärt habe, frage ich sie, ob sie zustimmen kann, ganz achtsam und Schritt für Schritt, in ihrem Tempo, zusammen ihre Kiste zu öffnen? Dass sie mit Trauer reagiert, gibt mir den Hinweis, dass sie durchaus Zugang zu ihren Gefühlen hat. Wäre sie von ihren Gefühlen abgespalten, fühlt sich alles würde stumpf, null Verbindung und energielos an.
Mit Maria zusammen ordnen wir ein, dass der Umgang mit ihren Gefühlen insbesondere die Mutter von Maria massiv überfordert hat. Damit reagierte sie auf Maria’s Trauer und Ängsten mit Ablehnung und mahnenden Sätzen wie «reis dich zusammen», «Mimose» oder deutlichen Gesten des genervt sein. Maria fühlte sich komplett allein gelassen und hat nicht verstanden, dass sie mit ihrer ängstlichen Seite der Mutter den Spiegel zu deren eigenen überforderten Emotionen gezeigt hat.
Durch diese Erfahrungen wählte Maria die Strategie des Rückzugs, verbissen hat sie jegliche Emotionen runtergeschluckt, alles versucht, um ja nicht schwach zu wirken. Sie wählte das Funktionieren und baute die Verbindung über das Abliefern von Leistung zur Mutter auf. Das Risiko, sonst abgelehnt oder allein gelassen zu werden und damit zutiefst verunsichert zu sein, liess ihr keine Wahl. Ihre Strategie war aus der grössten Not entstanden. Sie versuchte in ihrer emotionalen Existenz zu überleben.
Der Erfolg stellte sich ein, Maria war früh weit oben auf der Karriereleiter angekommen und wurde mit dem Stolz der Mutter belohnt. Und nun steht sie an dem Punkt, an dem sie einen ihrer wichtigsten Zugänge zu sich selbst verschlossen hat. Eine Karriere ohne Freude, ohne Sinn und eine tiefe Leere.
Manuel
Dass der Schlüssel zur Kiste aber auch ganz anders aussehen kann, zeigte sich bei Manuel. Er beschreibt sein Leben ähnlich und erwähnt, dass er niemandem zur Last fallen will. Gefühle und Jemandem zur Last fallen, was hat das für eine Bedeutung, frage ich mich? „Fühlen wird definitiv überbewertet und kratzt an meiner Stärke“, war seine Antwort.
Er beschreibt mir seine Beziehung zu seiner Frau. Sie beklagt sich, dass er sehr unnahbar, verschlossen sei. Wir fanden die Beweggründe in einem Vater, den der kleine Manuel als sehr schwach wahrnahm. Er spürte keine Stärke, keinen Halt und keine väterliche Präsenz von ihm. In einer dauernden Opferhaltung fing Manuel an, ihn abzulehnen.
Unbewusst schloss er einen Vertrag mit sich selbst: „Einfach sicher nie wie mein Vater“. Gefühle bedeuten Schwäche, Opfersein und Ausgeliefertsein. Seine Überzeugung, das ist keine Option und als Mann sowieso nicht!
Sein Weg war, niemand kommt mir zu nahe, ich schaffe das selbst und bin sicherlich nie ein Opfer. Seine Strategie ging nicht auf – er fühlt sich einsam und schafft er es nicht, seine gesetzten Mauern zu durchbrechen. Er spürt den Zugang zu seinen Gefühlen nicht mehr und fragt sich verzweifelt: Was ist Liebe? Warum kann ich meine Frau nicht so wahrnehmen wie sie mich? Das Verhalten des Vaters hat ihn so geprägt, dass er sein Herz verschlossen hat.
Und da ist noch Lisa
In einer weiteren Lebensgeschichte erkennen wir die individuelle Auswirkung und Prägung jedes Einzelnen. Lisa, eine 20-jährigen Frau mit diffusen Ängsten und dem grossen Wunsch nach mehr Leichtigkeit im Leben.
Die Ursache fanden wir bei ihrer Lehrerin in der dritten Klasse, die alle Kinder immer blossgestellt hat. Wer nicht Wissen und Leistung lieferte, wurde vor der ganzen Klasse an den «Pranger» gestellt. Ein Alptraum für jedes Kind, keiner will eine solche Erniedrigung erleben. Lisa hielt das nicht aus und entwickelte Ängste und tiefe Selbstzweifel. Ihre Überlebensstrategie in einem ersten Schritt war Rückzug und Lernen in alle Nächte. Kontrolle der Situation zu halten war überlebensnotwendig. Es blieb keinen Raum für Leichtigkeit. Sie tat alles, um dem schlimmsten Ereignis des Blossstellens auszuweichen. Die Folgen warten Schlaflosigkeit, Übermüdung, Überforderung, krampfhafte Muskelverspannungen und zum Schluss die Verweigerung, zur Schule zu gehen. Mit unserer Arbeit erkannte sie ihre Trigger, welche bis heute ihr Verhalten rund um Leistung und die fehlende Lebensfreude zuordnen und verändern kann.
Diese kleinen Ausschnitte dreier Klienten zeigen auf, wie individuell und unterschiedlich die Lebensgeschichten und damit die gewählten Strategien sein können. Egal wo wir den Schlüssel suchen, um die Kiste zu öffnen, jede Geschichte ist tragend und von großer Wichtigkeit. Es geht auch nie um die Suche nach Schuldigen, sondern, die Ursache und Strategien der Überlebenskiste zu erkennen, zu beruhigen und zu lösen. Das oberste Ziel ist, die Verbindung zu den Emotionen wieder herzustellen, zu integrieren und lernen diese erlebten Anteile anzunehmen
Gefühle und Körper
Die Gefühle und Emotionen sind Bewegungsenergien. Stoppen wir diese, erlebt auch der Körper einen Verlust des Energieflusses. Damit erklärt es sich auch, dass auf diesem Wege Krankheiten entstehen können. Gefühle verschwinden nicht, wenn wir sie verdrängen. Sie werden in unserer Zellerinnerung gespeichert. Von da aus beeinflussen sie dich den ganzen Tag. Wenn dein Nervensystem Alarm schlagen muss, ist das mit grossem Stress verbunden. Deine unbewussten Triggerpunkte warnen dich vor Gefahren – jedoch bist du als Erwachsener nicht mehr in Gefahr – nur das weiss dein innerer Alarm und dein System nicht.
Auch ein dauerndes Gedankenkreisen weist auf eine Unterdrückung des Fühlens der Hoffnungslosigkeit oder anderer tiefer Gefühle hin. Bleibt deine Kiste geschlossen, bist du dir dessen zu wenig bewusst und hast keinen aktiven Einfluss auf deine unterdrückten Emotionen.
Oft wurden wir als Kind konditioniert, dass
- wir uns anpassen sollen,
- wir keine Ängste haben müssen,
- Wut keinen Platz hat und unangebracht ist,
- wir freundlich sein sollen,
- es keinen Grund gibt zu weinen,
- Fühlen nicht in Ordnung ist.
Für ein Kleinkind ist das fatal. Es bedeutet, es muss sich selbst in seinen Emotionen regulieren, was es ja nie gelernt hat. Die Angst, abgelehnt zu werden, ist gross. Es ist auf die Zustimmung der Eltern angewiesen und will gefallen. Das Überleben wird von den Eltern gesichert. Wenn Eltern die emotionale Reife nicht selbst haben, dies zu verstehen und weiterzugeben, kann dies massive Auswirkungen haben. Sie werden den emotionalen Bedürfnissen nicht gerecht.
Es war niemand da, der die Bedrohung und Überforderung aufgefangen hat. Wenn du zum Beispiel materiell gut versorgt aufgewachsen bist, aber eine gefühlskalte Mutter hattest, die emotional in ihren Traumata abwesend war und ihre eigenen Gefühle abgespalten hat, hat dies intensive Auswirkungen auf das Erleben der eigenen Emotionen. Auch wenn die Mutter in ihrem Selbstschutz durch das Leben geht, prägt das unbewusst ein Kind in seiner emotionalen Entwicklung. In diesem Fall versteht die Mutter nicht, warum diese fehlende Verantwortung im Raum steht. Sie hat doch immer gut zum Kind geschaut – es hatte einen sicheren Schlafplatz, genug zu essen und saubere Kleider. Es war das, was die Mutter geben konnte. Jedoch blieb ihr unklar (oder wollte es nicht einsehen), dass ihr Umgang mit den Emotionen eigentlich der Schlüssel zur sicheren Bindung, zur Geborgenheit und zur Liebe gewesen wäre.
Du
Vielleicht magst du dir einen Moment überlegen, wie du selbst mit Emotionen umgehst und dies Kindern vorlebst? Was zeigen dir Kinder in deinem Umfeld für einen Spiegel deiner eigenen Trigger? Dürfen diese Emotionen bei dir wie auch bei deinen Liebsten Platz haben? Oder hältst du dies kaum aus und stösst alles weg? Bist du emotional präsent und erreichbar, wenn starke Gefühle überwältigen? Was hättest du dir gewünscht, welche Worte, welche Gesten, um mit deinen emotionalen Reizüberflutungen klarzukommen?
Einige Merkmale, wie du deine vergrabene Kiste erkennen kannst:
Körperliche Beschwerden:
- Erschöpfung
- Allergien
- Schlafstörungen
- Starke Muskelverspannungen
- Zähneknirschen
- Bluthochdruck
- Angeschlagenes Immunsystem
- Erhöhter Herzschlag
Psychische Auswirkungen & Beschwerden:
- Diffuse Ängste
- Dauerndes Gedankenkreisen
- Emotionaler Dauerstress
- Wutausbrüche, die nicht mehr regulierbar sind
- Emotionale Starre – wenig oder gar keine Gefühle
- Panikattacken
- Depressive Zustände
- Ungesunde Verhaltensmuster
- Selbsthass oder Selbstzerstörung
- Toxische Beziehungen
Mögliche Vermeidungsstrategien:
- Erhöhter Medium-Konsum
- Übermässiges Essen
- Alkohol oder Rauchen
- Ungesunder Sportkonsum
- Sich immer für alle anderen verantwortlich fühlen
- Kontrollsucht
- Schuldige suchen
Höre auf zu kämpfen – Lebe!
Öffne deine Kiste, um aus deinem Selbstschutz zu kommen. Lerne, den Zugang zu dir wieder zu öffnen und dich heute sicher zu fühlen. Verbinde dich mit deinen starken Gefühlen und erkenne, wie zentral sie für dich und dein Wohlbefinden sind. Gefühle zulassen bedeutet auch, dass sie endlich in Heilung kommen dürfen. In den blockierten Gefühlen wird dies nicht möglich sein. Deine unterdrückten Emotionen und Verletzungen, die dich dein ganzes Leben beeinflussen, sind in deinem Unterbewusstsein und in deinem Körper gespeichert. Es reicht nicht, nur über die Gefühle zu sprechen, damit sind sie weiterhin gefangen. Gefühle fühlen, damit kannst du heilen.
Fürchte dich nicht mehr vor der Angst, dich vollkommen ausgeliefert zu fühlen. Du hast überlebt und darfst dich heute als erwachsene Person trauen, den wertvollen Schlüssel zu deiner Kiste zu drehen. Befreie dich von deinen alten Verhaltensmustern und Schutzmauern, fühle dich frei. Sei es dir wert, Unterstützung zu holen, um dich wieder zu spüren und in die Verbindung zu dir und deiner Seele zu kommen.
Herzlich,
Madelaine Zurfluh